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Gastkommentar: Philippe Citroën, UNIFE-Generaldirektor

Wozu MEAT? Faire Vergabe öffentlicher Aufträge in Europa

Die Bahn schafft täglich mehr Verbindungen in der Europäischen Union. Die europäische Bahnindustrie versorgt Städte, Regionen und Mitgliedstaaten mit hochwertigen Produkten, die einen vollends interoperablen und einheitlichen europäischen Eisenbahnraum (SERA) ermöglichen werden.



Gastkommentar

Philippe Citroën, UNIFE-Generaldirektor


Dabei steht sie oft mit Unternehmen aus Drittländern, die von der Schirmherrschaft des Staates profitieren, im Wettbewerb um EU-Aufträge. Dieses unorthodoxe Verhältnis ermöglicht es ausländischen Bietern, Ausschreibungen mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten zu gewinnen, wodurch minderwertige Produkte bereitgestellt werden und dadurch in weiterer Folge die Qualität des Schienennetzes in Europa geschmälert wird. Dies ist beunruhigend, da das öffentliche Beschaffungswesen einen wesentlichen Teil der EU-Wirtschaft (etwa 20 % des BIP der EU) ausmacht und für europäische Hersteller und Lieferanten von Bahnprodukten einen entscheidenden Faktor darstellt. Die COVID-19-bedingten Schwierigkeiten der letzten Monate bergen die Gefahr für Marktrückgänge in der Zukunft. Daher wäre unser Sektor ohne diese zusätzlichen Zielsetzungen besser in der Lage, jene Technologien nächster Generation bereitzustellen, die notwendig sind, um die Ziele des europäischen Grünen Deals zu erreichen. Es gibt jedoch eine Lösung: das MEAT-Prinzip (The Most Economically Advantageous Tender), das die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots fördern soll.

Durch dieses Prinzip sollen öffentliche Institutionen dazu aufgefordert werden, einen verstärkt ganzheitlichen Ansatz bei der Auswahl von Ausschreibungen zu verfolgen. Dem MEAT-Prinzip zufolge würden Auftraggeber Angebote nicht nur bezüglich ihrer Beschaffungskosten beurteilen, sondern auch andere Faktoren wie technischen oder technologischen Nutzen, Lebenszykluskosten sowie ökologische und/oder soziale Auswirkungen berücksichtigen. Dadurch können öffentliche Verantwortungsträger die europäische Bahnindustrie durch faire Wettbewerbsbedingungen stärken.

Aktuell ist die Anwendung von Kriterien, die verstärkt auf Innovations- und Qualitätsprodukte setzen, für den EU-Beschaffungsmarkt nicht verpflichtend. Mit der Entscheidung für solche Kriterien können öffentliche Auftraggeber das öffentliche Beschaffungswesen als Werkzeug zur Sicherung europäischer Industriearbeitsplätze einsetzen und, während die EU den europäischen Grünen Deal verfolgt, als Motor für intelligente, nachhaltige und innovative Technologien nutzen. Den Weg für Technologien wie Automatic Train Operation (ATO), ETCS Level 3, Next-Generation Telecommunication Systems und Satellite Positioning, um nur einige zu nennen, ebnen europäische Unternehmen. Diese Technologien machen die Eisenbahnnetze rund um den Globus grüner, wartungsfreundlicher und effizienter. Diese bahnbrechenden Errungenschaften werden bzw. wurden in Projektarbeiten von Shift2Rail Joint Undertaking entwickelt. Die EU-Kommissarin für Forschung und Innovation, Mariya Gabriel, könnte die Bemühungen von Kommissarin Adina-Ioana Vălean zur Schaffung eines nachhaltigeren Verkehrssektors erheblich unterstützen, indem Shift2Rail Joint Undertaking (S2R JU), eine öffentlich-private Partnerschaft unter der Leitung von Executive Director Carlo Borghini, im Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe als „Shift2Rail 2“ weitergeführt wird. Die Weiterführung dieses Programms, über die gerade verhandelt wird, wäre ein bedeutsamer Schritt hin zur Schaffung von Technologien, die Europas sauberste Transportlösung in den kommenden Jahren effizienter und noch nachhaltiger machen werden.

Die UNIFE und ihre Mitglieder haben ebenso weitere Schritte unternommen, damit sich dieser Kriterienkatalog immer weiter durchsetzt. Im Juli 2019 haben wir mit der CER und EIM zusammengearbeitet, um eine Empfehlung zur Anwendung des MEAT-Prinzips und bewährter Praktiken für das Beschaffungswesen im Bereich Bahn zu finalisieren. In den kommenden Monaten möchten wir diese gemeinsam erarbeitete Empfehlung bei den Eisenbahnunternehmen bewerben. Darüber hinaus hat die UNIFE die Aktivitäten der AEGIS Europe im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens vorangetrieben. Diese Bemühungen profitieren von der Unterstützung von 22 europäischen Upstream- und Downstream-Herstellerverbänden. Im September 2019 hat die Allianz ein Positionspapier erstellt, in dem sie eine Reform für den Rechtsrahmen des europäischen öffentlichen Beschaffungswesens fordert, um zum einen die Bestimmungen des MEAT-Prinzips zu konkretisieren und sich zum anderen mit den ungewöhnlich niedrigen Angeboten von staatlichen Unternehmen zu befassen.

Die europäische Bahnindustrie erzeugt weiterhin innovative Produkte, die die globale Eisenbahn grüner und effektiver machen. Wir können diese innovativen Produkte nur dann bestmöglich nutzen, wenn öffentliche Auftraggeber darauf sensibilisiert werden, dass sie günstigere Alternativen ablehnen können. Öffentliche Auftraggeber können sich sicher sein, dass sie zu wichtigen Klimamaßnahmen beitragen, z. B. zur Senkung der verkehrsbedingten Emissionen um 90 % im Rahmen des bereits erwähnten europäischen Grünen Deals. Zudem unterstützen sie europäische Arbeitsplätze und stellen die beste Nutzung öffentlicher Gelder sicher. Gemeinsam können wir die Eisenbahn zum Fahrweg für die Zukunft der grünen Mobilität Europas machen.

Gemeinsam können wir die Eisenbahn zum Fahrweg für die Zukunft der grünen Mobilität Europas machen.




MISSION

Förderung des Wachstums des Bahnmarktes für nachhaltige Mobilität

Die vier Prioritäten zur Erreichung unserer Mission:

  • Förderung der europäischen Politik zugunsten der Schiene
  • Gestaltung eines interoperablen und effizienten europäischen Eisenbahnsystems
  • Sicherung der Führungsposition der europäischen Bahnindustrie durch fortschrittliche Forschung, Innovation und Qualität
  • Bereitstellung von marktstrategischen, technischen und politischen Informationen für UNIFE-Mitglieder

Die UNIFE vertritt seit 1992 die europäische Eisenbahnindustrie in Brüssel. Der Verband umfasst über 100 führende europäische KMUs und Großunternehmen, die in der Entwicklung, Herstellung, Wartung und Modernisierung von Schienenverkehrssystemen, Teilsystemen und zugehörigen Ausrüstungen tätig sind. Die UNIFE vereint 14 nationale Bahnindustrieverbände europäischer Länder, ihre Mitglieder haben in Europa einen Marktanteil von 84 % und stellen mehr als 46 % der weltweit produzierten Eisenbahnausrüstungen und -dienstleistungen bereit. Die UNIFE vertritt die Interessen ihrer Mitglieder sowohl auf europäischer als auch auf außereuropäischer Ebene und fördert aktiv EU-Ausrüstung sowie EU-Standards im Bereich Bahn innerhalb und außerhalb Europas. Die UNIFE-Mitglieder engagieren sich für die Bereitstellung modernster Technologien, um den Herausforderungen des zunehmenden Schienenverkehrs gerecht werden zu können und die Anforderungen eines nachhaltigen und umweltfreundlichen Verkehrs zu erfüllen.

Quelle der Grafiken: unife.org

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